Die Produktion von Kraft (SI-Einheit: [N]) ist eine fundamentale Muskelfunktion. Allerdings herrscht bezüglich des Kraftbegriffs ganz allgemein Erklärungsbedarf:
- Die Muskelkraft kann beim lebenden Menschen nicht direkt gemessen werden. Hierzu wäre es nämlich im einfachsten Fall eines ungefiederten Muskels erforderlich, mindestens ein Sehnenende zu durchtrennen, linear mit einem Kraftsensor zu verbinden und zu aktivieren.
- Anstelle der direkten Muskelkraft werden beim Menschen meistens 2 Arten von stellvertretenden Indikatoren verwendet: (a) die Muskelgröße (Muskelvolumen, Muskel(faser)querschnitt, Magermasse oder die daraus berechnete Muskelmasse) und/oder (b) externe Drehmomente oder Kräfte (z. B. Bodenreaktionskraft , Pedalkraft etc.). Aus den externen Messgrößen lassen sich mittels inverser Dynamik die internen Kräfte abschätzen.
- Die Korrelation zwischen Muskelgröße und Drehmoment oder Kraft ist nicht so gut, wie man erwarten würde. Studien am Menschen haben gezeigt, dass die Größe der Beinmuskulatur nur ca. 25–50 % der Variabilität in Drehmoment oder Kraft erklärt. Mehr Größe bzw. Masse führt daher nicht zwingend zu einer Verbesserung der physiologisch relevanten Kraftfunktion.
- Muskelfasern produzieren nicht verschiedene, distinkte Kraftentitäten, wie dies Begriffe wie „Schnellkraft“, „Explosivkraft“ oder „Kraftausdauer“ fälschlicherweise suggerieren. Je nach Geschwindigkeit und Richtung der Längenänderung variiert jedoch die Kraft und somit auch die Leistung (Produkt aus Kraft und Geschwindigkeit, [W]). In Tat und Wahrheit stellen solche fehlleitenden Begriffe vielmehr einen Versuch dar, aus einer äußeren Perspektive Bewegungen zu beschreiben, z. B. eine „schnelle“ oder „explosive“ Bewegung. Messtechnisch lässt sich eine bewegungsspezifische Schnelligkeit der Kraftentwicklung über die so genannte „rate of force development“ (Kraftanstieg pro Zeiteinheit) oder besser über den Impuls (Integral der Kraft über die Zeit für ein bestimmtes Zeitintervall) quantifizieren.
- Es existiert ein wichtiger Unterschied zwischen der Spitzenkraft, die bei einem Funktions- bzw. Bewegungsmanöver willkürlich produziert werden kann, und der maximalen willkürlichen Kraft. Beim zweibeinigen Sprung mit Ausholbewegung („countermovement jump“ [CMJ]) beispielsweise entspricht die typische Spitzenkraft, die pro Vorfuß wirkt, ca. dem 1,2-Fachen des Körpergewichts. Beim mehrfachen Hüpfen auf einem Bein mit gestrecktem Knie und ohne Fersenkontakt beträgt die typische Spitzenkraft ca. das 3–3,5-Fache des Körpergewichts, liegt also ca. 2,5–3× höher als beim CMJ. Um die maximale willkürliche Kraft extern zu bestimmen, muss demnach dasjenige Funktions- bzw. Bewegungsmanöver mit der höchsten typischen Spitzenkraft ausgewählt werden.
- Ein oft vernachlässigter Aspekt bei der Bestimmung der maximalen Kraft ist das Faktum, dass für jeden gegebenen Aktivierungsgrad des Muskels die maximale Kraft bei negativer Kontraktionsgeschwindigkeit (d. h. bei exzentrischer Kontraktion) auftritt. Aus diesen Betrachtungen folgt, dass, um von einer maximalen willkürlichen Kraft zu sprechen, die Kraft mit einem Bewegungsmanöver erfasst werden muss, welches die höchste typische Spitzenkraft produziert, und dass sie zudem bei möglichst maximaler Muskelaktivierung während exzentrischer Kontraktion gemessen werden muss. Das Sprungmanöver, welches diese Bedingungen erfüllt, ist der mehrfache Sprung auf einem Bein („multiple onelegged hopping“ [m1LH], d. h. wiederholtes Hüpfen auf dem Vorfuß mit gestrecktem Knie und ohne Fersenkontakt. Um die Bodenreaktionskraft zu messen, wird das Sprungmanöver auf einer Kraftmessplatte durchgeführt, die mobil oder stationär sein kann. Die Spitzenkraft während des m1LH tritt in der Landephase (d. h. während der exzentrischen Kontraktion) auf und die typische Spitzenkraft ist höher als bei den anderen bekannten Sprungmanövern. Mittels m1LH in Kombination mit pQCT kann man somit die maximale willkürliche Kraft (Fm1LH) erfassen, ins Verhältnis zur Knochenfestigkeit setzen und damit die Muskel-Knochen-Einheit quantifizieren.
Quelle: Dr. M. Toigo – Journal für gynäkologische Endokrinologie